Bodenversiegelung aus wissenschaftlicher Sicht

Auswirkung der Versiegelung auf die Bodenfunktionen

Als Boden wird die oberste Schicht des festen Erdkörpers bezeichnet. Böden entstehen aus dem Verwitterungsmaterial von Gesteinen in Verbindung mit atmosphärischen Einflüssen, Wasser, der Besiedlung mit Pflanzen sowie durch die Aktivität von Mikroorganismen und der Bodenfauna. Je nach Klima, Ausgangsgestein und Topografie dauert die Entwicklung von einem Zentimeter Boden 100 bis 300 Jahre (Umweltbundesamt). Gut entwickelte Böden bestehen je nach Grundgestein aus mehreren Horizonten, wobei der oberste Horizont durch einen hohen Humusanteil und der unterste Horizont durch das Grundgestein geprägt ist. Der humose Oberboden ist von einer unvorstellbaren Vielzahl von Lebewesen (Edaphon) besiedelt. In einer Handvoll Boden leben bis zu 8 Milliarden Lebewesen – über Regenwürmer, Asseln, Fadenwürmer, Pilze bis hin zu kleinsten Organismen wie Bakterien.

Im Boden spielen sich die wesentlichen Kreisläufe auf dieser Erde ab. Böden sind Grundlage des Wachstums von Pflanzen, aber auch der Ort, wo totes organisches Material zersetzt und zu Nährstoffen für neues Wachstum mineralisiert wird. Im Boden spielen sich also die wichtigen Transformationsprozesse von Leben und Sterben auf dieser Erde ab.   

Böden haben verschiedene Funktionen, die für uns als Menschen entscheidend für unser Leben sind:

(Die folgende Passage ist leicht verändert zitiert aus dem Lehrbuch der Bodenkunde von Scheffer / Schachtschabel.)

Regelungsfunktionen: Speicher-, Filter-, Puffer- und Transformatorfunktion. Böden regeln die Kreisläufe von Wasser, Luft und von organischen sowie mineralischen Stoffen. Sie filtern, puffern, transformieren, emittieren und speichern Stoffe. Böden sind ein entscheidendes Glied im ständigen Fluss von Energie und Stoffen in Ökosystemen.

Lebensraumfunktionen: Böden sind Lebensgrundlage und Lebensraum für Mikroorganismen, Pflanzen, Tiere und Menschen.

Nutzungsfunktionen: Böden sind die Grundlage für die land- und forstwirtschaftliche Nutzung. Durch ihre Filterfunktion sind sie ein wichtiges Glied in der Wasserwirtschaft, da sie das Grundwasser vor Verunreinigungen schützen.

Geschichtliche Funktionen: Als Bestandteile von Landschaften sind Böden ein Archiv der Landschaftsgeschichte, in dem auch die Einflüsse des Menschen dokumentiert sind.

Aufgrund der vielfachen Funktionen „gehören Böden zu den kostbarsten und damit schützenswürdigsten Gütern der Menschheit. Dies ist in der Bodencharta des Europarates von 1972 ausdrücklich festgehalten.“

Im Bundesbodenschutzgesetz und im Landesbodenschutzgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen werden die Bodenfunktionen ausdrücklich geschützt. Dort ist in § 1 zu lesen:

„Mit Grund und Boden soll sparsam und schonend umgegangen werden, dabei sind Bodenversiegelungen auf das notwendige Maß zu begrenzen. Böden, welche die Bodenfunktionen nach § 2 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 des Bundes-Bodenschutzgesetzes (BBodSchG) im besonderen Maße erfüllen (§ 12 Abs. 8 Satz 1 Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung), sind besonders zu schützen.“

Leider herrschen bei Politik, Wirtschaft, Landwirtschaft und Naturschutzverbänden unterschiedliche Vorstellungen darüber, was „das notwendige Maß“ bei der Bodenversiegelung und damit der Bodenzerstörung ist. Im Durchschnitt der Jahre 2019 bis 2022 wurden in Deutschland täglich 52 Hektar Boden versiegelt (Umweltbundesamt).

Werden Böden versiegelt, so verlieren sie auch ihre vielfältigen Funktionen. In Bezug auf den Wasserhaushalt fallen sie als Quellgebiete und Wasserspeicher in Trockenphasen weg. Versiegelte Flächen führen anderseits dazu, dass bei Starkregenereignissen das Wasser nicht mehr aufgenommen werden kann und es so zu Überschwemmungen kommt. Das Hochwasser vom Juli 2021 mit allein 135 Toten in Rheinland-Pfalz ist noch in guter Erinnerung. Betroffen waren von diesem Hochwasser auch Stadtteile von Wuppertal, wobei der tiefer gelegene Ortsteil von Beyenburg komplett unter Wasser stand. In diesem Zusammenhang wird auch gerne der Begriff der Schwammstadt verwendet, der darauf hinweist, dass die Städte unversiegelte Flächen brauchen, die bei zunehmend öfter auftretenden Starkregen das Regenwasser wie ein Schwamm aufsaugen, sodass Hochwasserschäden im Siedlungsbereich vermieden werden. 

Unversiegelte Flächen haben mit ihrem Pflanzenbewuchs eine wichtige Funktion sowohl im globalen Klima, wie auch im Mikroklima einer Stadt. Durch die dort stattfindende Verdunstung, kühlt sich bei Hitzeereignissen die Luft ab und mildert die Belastung für besonders hitzeanfällige Menschen. In diesem Zusammenhang spricht man auch von Kaltluftschneisen. Bebaute Flächen erhitzen sich dagegen sehr stark, speichern die Wärme und tragen dazu bei, dass Hitzewellen unerträglich werden. Ganz allgemein forcieren bebaute Flächen die Klimaerwärmung – lokal und global.

Unversiegelte Flächen sind Arbeitsplätze für alle Menschen, die in der Landwirtschaft tätig sind und die für die Ernährung ihrer Mitmenschen Sorge tragen. Trotz dieser unverzichtbaren Dienstleistung haben bei den sogenannten Stadtentwicklern Gewerbebetriebe einen höheren Stellenwert als landwirtschaftliche Betreibe. Der Grund dafür ist, dass Landwirte – im Gegensatz zu Gewerbebetrieben – keine Gewerbesteuer bezahlen müssen und damit für die Gemeindekasse unattraktiv sind. Das Argument, dass Gewerbebetriebe Arbeitsplätze schaffen, ist insofern verlogen, da anderseits in der Landwirtschaft Arbeitsplätze verloren gehen.

Unversiegelte Flächen sind für eine regionale und saisonale Versorgung mit Lebensmitteln unerlässlich. Versiegelung führt zu längeren Transportwegen von Lebens- und Futtermitteln mit den damit verbundenen Effekten für die Umweltverschmutzung und Klimaerwärmung. 

Unversiegelte Flächen haben eine wichtige Erholungsfunktion. Der Aufenthalt in der Natur, auch wenn es kein Wald, sondern Wiesen und Felder sind, wirkt auf die Seele entspannend. Die Bewegung im unverbauten Bereich ohne Abgase und unmittelbarem Verkehrslärm fördert die Gesundheit der Menschen. Gewerbegebiete sind dagegen keine Erholungsräume. Der Wegfall von Flächen für die Naherholung erhöht den Druck auf andere naturnahe Bereiche, was wiederum für die dort freilebenden Tiere und Pflanzen von Nachteil ist. Ein zusätzlicher Effekt ist, dass weiter entfernte Flächen für die Erholung aufgesucht werden, was wiederum mit zusätzlichem Autoverkehr verbunden ist.

Unversiegelte Flächen sind Lebensraum für unzählige Tier- und Pflanzenarten. Die Bebauung vernichtet diese Lebensräume und führt zu einem zunehmenden Artensterben. Gerade in dicht besiedelten Räumen wie im bergischen Städtedreieck sind viele – auch kleinere – Flächen als Biotopverbund zwischen größeren Naturräumen von Bedeutung. Der Boden an sich ist bereits ein Biotop für die Bodenlebewesen. Er ist ein lebendiger Organismus, bestehend aus Mineralien, Edaphon und dessen Abbauprodukten, die als Nahrung für den Aufwuchs zur Verfügung stehen.

Lebendige, fruchtbare Böden sind für die Ernährung der Menschen unverzichtbar. Auf der Erde gibt es in den verschiedenen Regionen klimatisch und geologisch bedingt, sehr unterschiedliche Böden. Dabei sind die Böden in Mitteleuropa fruchtbarer und ertragreicher als in den meisten anderen Weltregionen. Dies liegt zum einen an den bisher moderaten Niederschlägen (mit zunehmenden Starkregenereignissen ändert sich das gerade) und zum anderen an dem gut ausgebildeten Humushorizont im Oberboden. In Nordeuropa sind die Böden aufgrund der kurzen frostfreien Vegetationsperiode nicht sehr tiefgründig entwickelt und damit wenig ertragreich. Im subtropischen Bereich (z.B. in Südeuropa) neigen die Böden unter der starken Sonneneinstrahlung zur Austrocknung. Bewässerungsmaßnahmen führen dort bei rascher Verdunstung zur Versalzung der Böden, da die im Wasser gelösten Mineralien im Boden zurückbleiben. Gerade in diesem Klimabereich schreitet die Wüstenbildung (Desertifikation) rasant voran und vernichtet fruchtbare Böden. Im tropischen Bereich, der ganzjährig frostfrei ist und aus dem wir verschiedene Genussmittel, Obstsorten und auch jede Menge Soja als Futtermittel beziehen, haben die Böden meist keine bedeutende Humusauflage, da dort die Biomasse im ständigen Fluss von Wachsen und Vergehen ist. Werden diese Böden, wie zum Beispiel beim Sojaanbau, großflächig freigelegt, führen die tropischen Regenfälle zu einer enormen Erosion auf den Äckern, die dann in kürzester Zeit unfruchtbar werden. Dies ist auch der Grund, warum die Vernichtung des tropischen Regenwaldes ständig fortschreitet, da immer neue Anbauflächen erschlossen werden. Wenn wir uns in Europa weltweit mit Lebens-, Genuss- und Futtermittel bedienen, tragen wir auch die Verantwortung dafür, was auf diesen Flächen geschieht.

In Deutschland werden – wie bereits gesagt – jeden Tag 52 Hektar Fläche versiegelt. Betroffen sind dabei im Wesentlichen landwirtschaftliche Flächen. Vereinfacht gesagt, verschwindet jeden Tag ein landwirtschaftlicher Betrieb in Deutschland, ohne dass dabei ein Mensch in Deutschland verhungert. Wie ist das möglich? In Deutschland werden pro Jahr 4,5 Millionen Tonnen Soja verfüttert. Bei einem Ertrag von ca. 3,5 t/ha ist dafür eine Anbaufläche von ca. 1,3 Millionen ha Ackerland vor allem in Südamerika notwendig. (Zum Vergleich beträgt die landwirtschaftliche Fläche in Deutschland 16,5 Millionen Hektar, wobei davon 70 % Ackerland sind.) Deutschland und die anderen reichen Industrieländer versiegeln also vor Ort ihre landwirtschaftlichen Flächen mit Bebauung und Industriebetrieben und bedienen sich dann mit ihrem Kapital auf den Ackerflächen in den Entwicklungsländern, wo die Preise für landwirtschaftliche Flächen durch Spekulation in die Höhe getrieben werden und die dortige Landbevölkerung in die Armut und in die Slums der Städte getrieben wird.

Fazit: die Versiegelung unserer fruchtbaren Böden ist global gesehen asozial, treibt Menschen anderer Länder ins Elend und forciert die Klimaerwärmung, die in tropischen und subtropischen Klimabereich zur Wüstenbildung führt.

Christoph Ziegler, August 2024